„Niemand muss bei uns Angst haben”

Emöke Kamilla Nagy war 40 Jahre alt, als sie am Morgen des 31. Mai 2022 gegen 9.00 Uhr im Bad ihres Patientenzimmers im kbo-Isar-Amper-Klinikum Haar hinterrücks ermordet wurde.
Ein Patient, der erst am Abend zuvor von der Polizei „als besonders gefährlich” eingestuft und gewissenhaft nach Haar gebracht wurde, nahm bereits wenige Stunden später sein Frühstück im gemeinsamen Patientenraum ein, bevor er ungehindert in Kamillas Zimmer gelangen konnte und sie dort heimtückisch angriff. Zwanzig Mal schlug er brutal von hinten auf sie ein – zerschmetterte regelrecht ihren Kopf.
Kamillas Vater, war an diesem Tag mit dem Auto unterwegs zu seiner Tochter, er war mit ihr verabredet. Kamilla litt seit 17 Jahren an einer psychischen Erkrankung, an der eine Droge schuld war, die sie gegen ihren Prüfungsstress in der Uni einnahm. Ihr Gehirn reagierte damals extrem auf diese gefahrbringende Chemie und sie musste deshalb immer wieder mit Psychopharmaka eingestellt werden, um ihr eigenes Leben auch leben zu können. In diesem „am Geist verwundete” Bewusstsein, litt Kamilla immer wieder unter der Angst, sich selbst und anderen nicht genug zu sein und suchte nach Wegen, ihrer Seele trotzdem Raum zu geben. Denn sie liebte ihr Leben und die Menschen darin, liebte schöne Dinge – so klein sie auch waren und freute sich an der Herzlichkeit, die sie anderen leichter geben konnte als sich selbst. Schon als Kind war sie aufgeweckt und kreativ, verwurzelt in eine Tennisfamilie wuchs sie mit ihren Eltern in Olching bei München auf. Schon von klein auf, wurde ihre Jugend durch ihr Tennistalent geprägt und anerkannt, das Förderzentrum des Bayrischen Tennis Verbandes unterstützte sie darin. Viele lebenslustige Momente erlebte sie als einziges Kind mit ihren Eltern. Für die kleine Familie wurde Kamillas Krankheit, die sich immer wieder in Phasen bemerkbar machte, zu einer schweren Belastung. Die Familie hat vieles versucht – bis zuletzt waren die Eltern an Kamillas Seite.

Das kbo-Isar-Amper-Klinikum Haar wurde zu Kamillas letztem Klinikaufenthalt, für 12 Monate machte sie dort eine Therapie, die endlich erfolgreich zu sein schien. So freuten sich die Eltern mit Kamilla auf ihren anstehenden Umzug in eine kleine betreute Wohngemeinschaft, der für den 29.05.2022, zwei Tage vor ihrer Ermordung, geplant war. Warum er nicht stattfand – auch das wurde bis heute nicht geklärt.

Die Eltern haben in Ungarn, auf ihrem Nachbargrundstück, ein kleines Haus für Kamilla umgebaut und eingerichtet, mit eigener Werkstatt, um ihre künstlerischen Begabungen weiter ausüben zu können. Hier sollte sie ihren Traum verfolgen können, selbständig kreativ zu arbeiten und niemandem zur Last zu fallen – das war ihr sehr wichtig – hier sollte ein neues Leben für sie beginnen, nach Beendigung des Stabilisierungsprozesses in Haar.

Erst gegen 17.00 Uhr, sieben Stunden nach Ermordung Kamillas, erhielt der Vater einen Anruf von Kamillas Arzt, der ihn nicht bat, kurz das Auto anzuhalten, sondern ihn während der Fahrt über ihren Tod informierte. Kurz und knapp. Minuten später erreichte der Vater das Krankenhausgelände und wurde zu dem Ort geführt, an dem sein Kind brutal erschlagen wurde. Bis heute hat die Klinik keinerlei Beileid und Anteilnahme bekundet – geschweige denn Verantwortung übernommen.

Seit einem Jahr trauern die Eltern bitterlich um ihre Tochter und sind verzweifelt über die Sinnlosigkeit ihres Todes und über das Totschweigen ihres Sterbens, für das sie ausschließlich die Nachlässigkeiten der Klinik verantwortlich machen.

Wie konnte es zu der Tat auf der Station kommen?

Aus Sicht der Familie setzte sich die Klinik über die Warnung von Polizei und Gesundheitsreferat hinweg und bewirkte damit zwei zerstörte Leben – das von Kamilla aber auch das Leben des Täters, den sie nicht vor sich selbst schützte und der so zum Mörder wurde. Dass der Täter sich unbemerkt auf den Weg in Kamillas Zimmer machen konnte, bewaffnet mit Eisenstange und Feuerzeug, dass ihn so lange niemand vermisst oder gesucht hat, die Rauchentwicklung im Gang so spät bemerkt wurde und zunächst die Zimmertür geschlossen wurde, statt im Zimmer nach Kamila zu schauen – all das kann man sich in einer Klinik nicht vorstellen.

So ist es auch der Online-Pressemitteilung des Münchner Merkur vom 3. Juni 2022 (Max Wochinger) zu entnehmen:

Die tatverdächtige Person war polizeibekannt. Viermal war sie allein wegen Körperverletzung in Erscheinung getreten. Zuletzt hatte sie ihren eigenen Hund getötet. Daraufhin wurde sie erst Montag, den 30. Mai von der Polizei nach Haar gebracht. Der Grund: Sie galt als besonders gefährlich. Keine 24 Stunden später wurde die Person wohl zur Mörderin. Das wirft nun Fragen auf.

Denn Polizisten und das Gesundheitsreferat in München stellten noch am Montag die besondere Gefährlichkeit der Person fest. Sie fühlt sich keinem Geschlecht zugehörig, bezeichnet sich als divers. Die Beamten griffen sie in der Münchner Altstadt in einer „psychischen Ausnahmesituation“ auf, sagte Polizeisprecher Marc Aigner.

Recherchen des Münchner Merkur zufolge, setzte sich die Klinik über die Warnung der Polizei und des Gesundheitsreferats hinweg. „Bei der tatverdächtigen Person war seit deren Aufnahme eine Beruhigung beobachtet worden“, teilte der Bezirk Oberbayern mit. Die Behörde ist der Träger des Isar-Amper-Klinikums. Es hätte sich „kein Anhalt für aktuelle Gefährdung“ ergeben, ein Kontaktverbot zu anderen Patienten sei deshalb nicht ausgesprochen worden. 
So wurde es möglich, dass sich die als gefährlich eingestufte Person frei mit anderen Patienten in der geschlossenen Station bewegen konnte – und Kamilla ermordete.
Die Polizei geht davon aus, dass die Person über 20-Mal auf ihren Kopf mit einer Eisenstange eingeschlagen hat. Danach hat die Person im Badezimmer offenbar Matratzen und Kleider auf sie gelegt und den Haufen angezündet. Die tatverdächtige Person wurde neben dem Feuer aufgegriffen – mit der Eisenstange in der einen und einem Feuerzeug in der anderen Hand.
„Zweifel an der Tat gibt es aus polizeilicher Sicht nicht“, sagte der Polizeisprecher. Wegen der besonderen Grausamkeit der Tat geht die Staatsanwaltschaft mittlerweile von Mord aus. Die tatverdächtige Person konnte bei der Vernehmung keine hilfreichen Angaben machen. Die Eisenstange stammt womöglich von einem Möbelstück.
Allgemein seien gefährliche Gegenstände auf den Stationen verboten, so der Bezirk Oberbayern. Die Mutter einer schizophrenen Patientin in Haar teilte jedoch mit, dass ihre Tochter kürzlich eine Schere mit auf Station nehmen konnte. Die Mutter will unerkannt bleiben, ihre Vorwürfe passen in das Bild, das auch durch Berichte im Internet gezeichnet wird: wenig Pflegekräfte, schlechte Betreuung, ungenügendes Therapieangebot. Die Vorwürfe lassen sich nicht prüfen.
Der Bezirk Oberbayern teilt mit, dass „angestrebt“ werde zu verhindern, dass Patienten mit Ausgang gefährliche Gegenstände auf Station mitbringen. Zugleich gebe es aber in modernen Allgemeinpsychiatrien keine durchgängig geschlossenen Abteilungen mehr. Die Mitarbeiter stünden in „engmaschigen Kontakt“ mit Patienten. 

Quelle:
https://www.merkur.de/lokales/muenchen-lk/haar-ort104496/eisenstangen-mord-klinik-in-der-kritik-91591248.html

„kbo – Zuverlässig an Ihrer Seite”

So bringt die Klinik ihre Philosophie auf den Punkt und erklärt unter anderem in ihrem Leitbild:

Wer wir sind
(…) Wir fördern Gesundheit für Seele und Körper mit unseren qualifizierten Fachkräften in den Bereichen Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik, Neurologie und Sozialpädiatrie. Wir behandeln, betreuen, unterstützen und schützen Kinder, Jugendliche und Erwachsene wohnortnah in Oberbayern.

Was uns wichtig ist
Wir gehen auf die persönlichen und vielfältigen Lebenssituationen der Menschen ein. Patientinnen und Patienten, Klientinnen und Klienten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfahren Achtung, Wohlwollen und Anerkennung. Wir handeln verantwortungsvoll, arbeiten offen, glaubwürdig und verlässlich zusammen und gehen konstruktiv mit unseren Fehlern um. So lernen wir voneinander und miteinander, um uns stetig zu verbessern.

Was uns ausmacht
Sicherheit – Nähe – Vielfalt
Rund um die Uhr untersuchen, behandeln, pflegen, betreuen und begleiten wir in multiprofessionellen Teams (…)

Bei solch gutgemeinten Visionen, stellt sich unweigerlich die Frage, wie die Klinik ihr verantwortungsloses und Abstand nehmendes Verhalten denn mit ihren eigenen Worten vereinen kann.

Und noch eine weitere Frage drängt sich auf: War Kamilla es nicht wert?
Die Eltern treten als Nebenkläger in dem kommenden Prozess an. Dass in diesem ersten Prozess der Mord an Kamilla durch die psychisch verirrte Person festgestellt und er mit aller Voraussicht entsprechend verurteilt, eingewiesen und verwahrt werden wird – darauf kommt es ihnen nicht an.
In einem zweiten Prozess sollte es um die Zustände und die Umstände im kbo-Isar-Amper-Klinikum Haar gehen, die Kamillas sinnloses und grausames Sterben möglich machten.
Die Eltern hoffen sehr, dass die Ermittlungen vernünftig geführt und die Entscheidungsträger ermittelt und zur Verantwortung gezogen werden. Kamilla wird das nicht mehr helfen, aber vielleicht ändert sich mit Hilfe der Staatsanwaltschaft endlich etwas, damit Patienten sich in einer Klinik, wie dieser, sich wirklich sicher und gut betreut fühlen können.

Erste Ende Januar war auf dem kbo-Gelände der verweste Körper einer 62-jährigen Münchnerin gefunden worden. Ein 75-jähriger Sexualstraftäter soll sie damals getötet haben. „Niemand muss bei uns Angst haben”, sagte nach der Tat Peter Brieger, ärztlicher Direktor am Isar-Amper-Klinikum.

Quelle:
https://www.merkur.de/lokales/muenchen-lk/haar-ort104496/leichenfund-haar-muenchen-kbo-arzt-muelltonne-forensik-gemeinde-91277271.html